Corona, die nächste Entscheidung des BGH ist verkündet; dieses Mal zu einer Klage auf Zahlung im Urkundenprozess gegen die Mieterin aus dem Einzelhandel! Urteil vom 16.02.2022 zu dem Aktenzeichen XII ZR 17/21 mit teilweise neuen Erkenntnissen.
I. Ausgangspunkt/Kurzsachverhalt:
Mit diesem aus FF/M kommenden Fall (OLG FFM, Urteil vom 19.02.2021 zu 2 U 143/20) begehrt die Vermieterin von Ihrer Mieterin die Zahlung von Mieten aus dem Zeitraum aus und um den 1. Lockdown des Jahres 2020 herum. Konkret bestand in Hessen in dem Zeitraum vom 18.03. bis 19.04.2020 eine gänzliche Einstellung des Verkaufes. Vom 20.04.2020 bis zum 05.06.2020 bestand eine nur eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit der Mietfläche (u.a. Maskenpflicht). Die Vermieterin klagt auf die Bezahlung offener Restmieten der Monate April bis Juni 2020 im Wege des sog. Urkundenprozesses.
II. Hintergrund:
Nach § 592 ZPO können u.a. Ansprüche auf die Bezahlung von Geld im Wege des sog. Urkundenprozesses geltend gemacht werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist dies auch bei Mietforderungen der Fall. Der Vermieter muss danach sämtliche den Anspruch begründen Umstände durch Urkunden belegen (hier insbesondere die Vorlage des Mietvertrages). Nach der (hier unstreitigen Überlassung der Mietsache) trägt die Mieterin und Beklagte die Beweislast dafür, dass die Mietsache mit Mängeln behaftet war oder aus welchen sonstigen Gründen ein Zahlungsanspruch nicht bestehen solle. Gelingt es der Beklagten und Mieterin nicht, ihre Einwände durch Urkunden zu belegen, so behält sie sich ihre Rechte für das sog. Nachverfahren vor und es bedarf eines weiteren Prozesses (§ 600 ZPO).
III. Der materiell-rechtliche Teil der Entscheidung:
Im Kern seiner Ausführungen stützt sich der Senat natürlich auf sein eigenes (auch hier am 12.+13. Januar 2022 berichtetes) Urteil zu dem Aktenzeichen XII ZR 8/21, das hier zur Vermeidung von Wiederholungen nicht erneut wiedergegeben sei. Danach kommt jedenfalls ein Anpassungsanspruch der Beklagten nach § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage) in Betracht. Fraglich sei jedoch, ob neben den gegebenen realen und hypothetischen Elementen dieser Norm auch das dritte sog. normative Element erfüllt sei. Denn die gegebene Störung der Geschäftsgrundlage begründe für sich noch keinen Anpassungsanspruch. Maßgeblich sei, ob der betroffenen Mieterin das Festhalten am Vertrag unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles - einschließlich der gesetzlichen Risikoverteilung - nicht mehr zumutbar gewesen sei. Es genüge nicht jede einschneidende Veränderung; anders herum sei eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz nicht erforderlich (soweit alles auch bereits aus BGH XII ZR 8/21).
Bei dieser Einzelfallbetrachtung müssten die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf pandemiebedingten hoheitlichen Maßnahmen beruhen, die den jeweiligen Betrieb konkret erfassen (Rz. 31).
Und hier kommt in dieser Klarheit Neues:
- Dies sei bei Schließungsanordnungen, bei angeordneten Begrenzungen von Personenzahlen oder Zutrittsbeschränkungen (z.B. „2G“ oder „2G+“) sehr wohl der Fall. Ausgenommen seien demgegenüber Entwicklungen die eine anderweitige Ursache haben und eben keine unmittelbare Folge der pandemiebedingten Beschränkungen darstellten. Als irrelevant werden ausdrücklich mittelbare Folgen unternehmerischer Entscheidungen (z.B. zur Verkürzung der Ladenöffnungszeiten aus wirtschaftlichen Gründen) ebenso benannt, wie eine allgemeine Kaufzurückhaltung.
- Es sei bei dieser Betrachtung auch nicht von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis auszugehen, dass etwa von einer Herabsetzung um 50 % ausgehe und die davon abzuweichen versuchende Partei solches darlegen müsse (Rz. 32).
- Dabei könne es für die Frage des Erfordernisses einer Vertragsanpassung auch von Bedeutung sein, ob für die Mieterseite eine kurzfristige Kündigungsmöglichkeit bestanden habe (Rz. 33).
- In dieser Abwägung könne es auch von Bedeutung sein, inwieweit der Vermieter wirtschaftlich auf die Miete angewiesen ist (Rz. 35).
IV. Der prozessuale Teil der Entscheidung:
Der Senat hält die Urkundenklage der Klägerin und Vermieterin erwartungsgemäß für statthaft; aus der Pandemie ergäben sich keine Besonderheiten. Allerdings verweist er die Beklagte und Mieterin mit deren Einwänden erwartungsgemäß auf das sog. Nachverfahren, so dass ein sog. Urkundsvorbehaltsurteil auf Zahlung erging. Zwar könne die Beklagte z.B. ihre einbrechenden Umsatzzahlen durch Urkunden belegen. Dass diese allerdings pandemiebedingt seien (wie dies beklagtenseits behauptet wurde), könne nicht in selber Weise durch Urkunden bewiesen werden. Dazu bedürfe es des Nachverfahrens.
V. Welche zusammenfassenden Schlüsse ziehen wir aus dieser Entscheidung?
Anpassungsansprüche dürften auf die Zeiten konkreter Beeinträchtigungen beschränkt bleiben und nicht auch uferlos die Folgezeiträume und mittelbare Beeinträchtigungen betreffen. Die Entscheidung bringt demgegenüber noch keine Daumenwerte zu Kürzungsquoten. Von den 50 % als Basiswert sind wir jedoch weg.
Rechtsanwalt Frank Weißenborn
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Telefon: 030 40 59 94-54
Telefax: 030 40 59 94-754
draack@wir-wanderer.de